Donnerstag, 24. Mai 2007

Gedanken

Hallo Leute. Seit kurzer Zeit denke ich wieder darüber nach, was Parkour eigentlich ist, und möchte euch in dieser Sache mal meine Gedanken mitteilen.
Erst einmal ein kleines Präludium:

Als ich vor kurzem Tobi wieder getroffen habe (war ich super glücklich, aber ich will auf etwas anderes hinaus) war Andrej aus Moskau gerade wieder zu Besuch. Und Tobi hat mir eine kleine Geschichte, die wohl so bei einem Tracers.ru / PAWA.RU Treffen so geschehen ist, berichtet.

Es war ein Workshop, so wie wir uns einen Parkourworkshop vorstellen. Also erst einmal gemeinsames Aufwärmen, dann trainieren einzelner Techniken an den Hindernissen. Also Katze zu Präzision und dergleichen. Grundbewegungen.
Nun kam aber ein anderer russischer Traceur, der schon seit 7-8 Jahren trainiert, zu eben diesem Treffen und war über den Anblick schockiert. „This isn’t what Parkour is about! You’re ruining the discipline. You’re breaking it up into movements and name them, like in Skateboarding. You are the people that make Parkour into a sport.”

Tobi erzählte mir weiterhin, dass eben jener Traceur ohne die uns bekannten Grundbewegungen trainiert. Er trainiert indem er läuft, springt und klettert. Keine „Vaults“, kein „saut de chat“, kein „passement rapide“. Laufen. Wenn ein Hindernis kommt: Springen. Wenn man es nicht überspringen kann: Klettern. Und in meinen Augen ist das auch der wahre Parkour. Jener Traceur drückt sich auch dementsprechend ohne Namen und genaue Angaben aus: „You run to there, do the climbing shit, jump down from there, keep on running and jump over this. “

Das war vor etwa 3-4 Wochen. Habe der Bemerkung damals ein Lächeln und ein „irgendwie hat er Recht“ geschenkt. Mehr aber auch nicht. Keine tiefgreifenden Veränderungen in meinem Training.

Diese Veränderung kam erst vor etwa 2 Wochen. Bei einem der großen Treffen in Köln. Irgendwie kam ich gedanklich wieder auf diese Stelle, und dachte mir: Machst du einfach mal einen Lauf. Vergisst die Grundtechniken und läufst los. Also habe ich mir einen genauen Weg überlegt, den ich laufen möchte, und mich geistig darauf vorbereitet. Die einzelnen Hindernisse noch einmal vor dem inneren Auge überflogen und mich für fähig gehalten diesen Lauf effizient zu beschreiten. Also los gelaufen.

Nun möchte ich einmal anmerken, dass an diesem Tag etwa 25 Leute im Mediapark am trainieren waren. Dementsprechend überladen waren auch die Hindernisse. Auch diese, die ich vorhatte zu überwinden.

Wie dem auch sei. Ich stelle mich an den Anfangspunkt, regte meinen Kreislauf schon einmal an und verwarf überflüssige Gedanken, um mich auf den Lauf vorzubereiten. Als ich fühlte, dass mein Körper nun loslaufen wollte, ließ ich ihn gewähren.

Ich lief los und fühlte zum ersten Mal, was Parkour eigentlich ist. Wie sich Parkour anfühlt. Genau beschreiben kann man es nicht wirklich. Man fühlt sich wirklich in eine Welt versetzt, die von Instinkten gesteuert wird. Man denkt nur über den nächsten Schritt nach, nicht an das was davor war (Keine Zeit!), nicht an das was danach kommt. Man lebt im Jetzt und konzentriert sich darauf, sich nicht zu verletzen. Nicht hinzufallen, nicht zu straucheln, nicht im falschen Moment die Muskeln anzuspannen.

Zu den geplanten Hindernissen kamen etwa 10 weitere, bestehend aus Fleisch und Blut. Ihre Existenz wurde in meinem Bewusstsein zu starren Objekten reduziert und diese wurden umlaufen. Kein wirklicher Unterschied, ob ich vorher mit dieser Person gesprochen habe. Im Moment war sie einfach nur „im Weg“.

Als ich dann an meinem Ziel ankam bemerkte ich erst die Anstrengung. Mein Herz schlug rasend schnell, meine Lunge brannte, meine Beine fühlten sich an wie Brei. Ich liebe es. Das ist für mich der wahre Parkour. Dieser Rausch, diese Jagd, diese Flucht, dieses „am Leben sein.“ Den Körper spüren. Nur im Jetzt sein.

Danach habe ich auch gemerkt, dass ich von den hier anwesenden wohl der Einzige bin, der das bisher gefühlt hat. Kann sehr gut sein, dass ich mich irre. Aber die Bewegungen der anderen sprachen eindeutige Worte: „Och, ich hüpf’ mal hier hoch. Jetzt mal hier rüber… ach, ist das anstrengend. Auch so warm heute…“, dachte ich ihre Gedanken. Den Bewegungen fehlte das gewisse Etwas: die Entschlossenheit zu überleben.

Schon in den vorherigen Wochen gab es erste Ansätze. „Stell dir mal vor, du würdest sterben, wenn du nicht total schnell diese Wand hoch kommst“ (Ich), „Hahaahah, wieso sollte ich denn sterben?“ (Person B). Ich sage es einfach mal, was ich im Moment für mich fühle:
Parkour ist nicht „mal eben rausgehen“.
Parkour ist nicht „Lustig auf einer Mauer herum sitzen“.
Parkour ist nicht „Mal eben die Wand hochlaufen“.
Parkour ist nicht „Mal eben….“
Parkour ist nicht nur Spaß.
Parkour ist nicht nur Repetition.
Parkour ist nicht nur Bewegungen.

Parkour ist Bewegung. Parkour ist Gefühl. Parkour ist Wollen. Parkour ist Leben. So fühle ich es im Moment.

Ich habe auch einige Bemerkungen der anderen Trainierenden in Köln gehört, die ich teilweise unüberlegt, teilweise erbärmlich fand. Ich schreibe sie einfach mal, und ihr bildet euch selber eure Meinung dazu:
„Warum nimmst du denn so einen riesigen Anlauf?“
„Warum machst du den 9 Fuß Armsprung im Mediapark nicht?“
„Warum machst du den 3 Fuß Katze-Präzi über Stange auf Mauer im Mediapark nicht?“
„Schaffst du die 4m Mauer am Appelhofplatz?“
„Kannst du beidarmige Planche? Wie viele?“
„Warum droppst du hier nicht runter? Ist doch gar nicht tief?“

Ich habe eine Bitte an diejenigen, die von sich behaupten Parkour zu machen: Denkt nach. Sprecht weniger, fühlt mehr. Versucht euch daran zu erinnern, wo Parkour her kommt. Versucht herauszufinden, wer ihr seid, wenn man die Gesellschaft wegdenkt. Denkt darüber nach, warum ihr raus geht und trainiert. Warum ihr eine bestimmte Bewegung macht.

Und ein Appell an die Leute da draußen: Hört auf nachzumessen. Hört auf das zu machen, was ihr in den Videos seht. Dieser „Parkour“ ist messbar. Entweder du springst deine 8 Fuß, oder du springst sie nicht. Der eine springt 7 Fuß, der andere springt 9 Fuß. Der andere ist also besser. Ist es das, was Parkour wirklich ist? Wer kann einen Fuß weiter springen? Wer kann leiser landen? Wer kann mehr Climbups?

Parkour ist wettkampffrei, weil es maßstabfrei ist. Du bist dein eigener Maßstab. Der Parkour ist in deinem Kopf. Niemand kann dich bewerten, außer dir selber. Wenn du an dieser Erkenntnis angelangt bist: Lauf los und vergess’ die anderen. Sie kommen später nach.


Nun noch einmal ganz kurz dazu, warum ich diesen Post überhaupt so schreibe, wie ich ihn hier schreibe. Habe mir gerade dieses Video hier (http://www.youtube.com/watch?v=2YHO3JwMNMU) angeschaut. Ich dachte zu erst „Hey, eigentlich schöner Parkour“. Aber wo laufen sie? Wo kämpfen sie um ihr Überleben? Wo fühlen sie das Adrenalin? Wo geben sie 110%? Ich weiß es nicht. Ich will diese Leute nicht verurteilen.


Smile
- Dirk